DIE ZEIT, 23. Februar 2012
Teurer Einstieg
Nach dem Abschied von der Atomkraft sollen Gaskraftwerke die Energieversorgung sichern. Geht das?
Auf den ersten Blick ist die Sache einfach: Steigt Deutschland aus der Atomenergie aus, wird die fehlende Kapazität zur Stromerzeugung durch Wind- und Sonnenkraft ersetzt. Dort, wo das nicht ausreicht, helfen neue Gaskraftwerke aus. Die blasen relativ wenig klimaschädliches Kohlendioxid in die Luft, sind flexibel einsetzbar und damit gut geeignet, im Zusammenspiel mit den Erneuerbaren für einen ständigen Stromfluss zu sorgen. Bis zu 26 zusätzliche Meiler, findet die schwarz-gelbe Bundesregierung, müssen ans Netz, um Ersatz für die bis 2022 vollständig wegfallende Kernkraft zu schaffen.
Nur: Die Stromerzeuger sperren sich und lamentieren über angeblich zu geringe Renditen. »Die Voraussetzung für eine wirtschaftliche Investitionsentscheidung ist nicht gegeben«, heißt es beispielsweise bei den Stadtwerken München. Die Gaspreise seien zu hoch, die Strompreise zu niedrig, ließ sich auch Ewald Woste, der Chef der Stadtwerke-Holding Thüga, vernehmen.
Im Klartext heißt das: Neue Gaskraftwerke werfen derzeit zu wenig Profit ab. »Bei den heutigen Marktpreisen sind Neubauten kaum rentabel «, sagt Patrick Hummel, Energieexperte bei der Großbank UBS. »Das A und O«, sagt der Sprecher des Stadtwerke-Bündnisses Trianel, Elmar Thyen, sei dabei der Gasliefervertrag. Der Brennstoff ist bei einem Gaskraftwerk der wesentliche Kostenblock, und wegen langfristiger Lieferverträge und der noch immer bestehenden Bindung an den Ölpreis ist Gas derzeit teuer. Weil künftig die Nachfrage nach Gas weiter zunehmen wird, dürfte sich daran auch nicht viel ändern.
Dazu kommt die besondere Rolle, die Gaskraftwerke künftig übernehmen sollen. Wenn in wenigen Jahrzehnten ein großer Teil des Stroms »grün« erzeugt wird, dürften fossil befeuerte Stromfabriken überwiegend nur noch als Reserve gebraucht werden – für die Zeiten, in denen nicht genug Wind weht oder keine Sonne scheint. Gegenüber Kohlemeilern können Gaskraftwerke dann zwar ihre Vorteile ausspielen; sie sind nicht nur effizienter und wesentlich weniger klimaschädlich, sondern schaffen auch das Anheizen nach tagelangem Stillstand besser und schneller. Allerdings wird der Vorrang für den Ökostrom auch Gaskraftwerken zu schaffen machen. Wer seinen Meiler nicht rund um die Uhr laufen lassen kann, wird auch seine Investitionskosten nur schwer erwirtschaften.
Schon heute rechnen sich Gaskraftwerke selbst bei voller Auslastung wegen der hohen Brennstoffkosten kaum. Sie würden es nur tun, wenn die Stromkosten weiter stiegen. Profitabel wären Gasmeiler nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge wohl erst bei einem Preis von 80 Euro pro Megawattstunde, ergab eine Studie der Universität Stuttgart. An der Strombörse in Leipzig kostet die Megawattstunde derzeit aber nur etwa 50 Euro, selbst im Rekordjahr 2008 stieg der Preis nicht über 65 Euro.
Um Investoren den Bau neuer Kraftwerke dennoch schmackhaft zu machen, haben einige Staaten Prämien eingeführt. Ökonomen sprechen hier von der Schaffung sogenannter Kapazitätsmärkte. Die Idee dahinter: Kraftwerksbesitzer werden nicht mehr ausschließlich für den tatsächlich erzeugten Strom bezahlt, sondern zusätzlich auch für den Bau und Unterhalt von Meilern, die als Reservekapazitäten vorgehalten werden. Die Stromkunden zahlen also eine Art Versicherungsprämie gegen Stromausfälle.
In Brasilien mit seinem hohen Anteil an erneuerbaren Energien gibt es ein solches System bereits. Hier schließen die Energieversorger mit den Kraftwerksfirmen Stromlieferverträge mit bis zu 30 Jahren Laufzeit ab. Die Höhe der Prämien wird in Auktionen ermittelt. Wer Reservekraftwerke zum günstigsten Preis baut, erhält den Zuschlag.
In Deutschland hat sich die Politik bislang noch nicht mit diesem System anfreunden können. Das Bundeswirtschaftsministerium hat zunächst eine Studie in Auftrag gegeben, um die Folgen von Prämien in anderen Staaten zu untersuchen. Auch der Branchenverband BDEW hat das Thema erst einmal vertagt, weil man zusätzliche staatliche Eingriffe fürchtet. Der Stadtwerke-Verband VKU pocht unterdessen auf eine mehrere Hundert Millionen Euro schwere Investitionsspritze, die im Energiekonzept der Bundesregierung schon fest versprochen ist.
Ob Deutschland die von der schwarz-gelben Koalition angestrebten 26 zusätzlichen Gaskraftwerke am Ende wirklich benötigt, ist allerdings noch gar nicht klar. Zum einen hängt das davon ab, ob die Republik künftig mit weniger Energie auskommt – ob also die auch von der Bundesregierung oft angemahnte Sparsamkeit beim Umgang mit Strom Realität wird. Überdies gibt es auf einem Energiemarkt ohne Ländergrenzen auch die Möglichkeit, sich mehr und mehr auf Stromimporte zu verlassen. Deutsche Stromlieferanten könnten sich Kapazitäten aus dem Ausland vertraglich sichern.
Bei hoher Nachfrage und damit hohen Strompreisen stehen Gaskraftwerke schon jetzt mitunter still, weil es billiger ist, Atom- oder Kohlestrom aus Frankreich oder Tschechien zu beziehen. Zusätzliche Gasmeiler müssten dann ebenfalls mit preiswertem Importstrom konkurrieren. »Es gibt keinen Weg, zu verhindern, dass Deutschland zum Nettoimporteur wird«, sagt Christoph Maurer, der als Gutachter das Wirtschaftsministerium berät.
Das Fazit: Wenn Deutschland sich im Notfall dennoch eigenständig mit Strom versorgen will und dafür neue Gaskraftwerke gebaut werden sollen, wird das teuer – für den Stromkunden und wahrscheinlich auch für den Steuerzahler. Überdies würden die teuren Gasmeiler einen guten Teil des Jahres stillstehen. Sinnvoll wäre deshalb, den Verbrauch nach und nach so zu senken, dass zusätzliche Kapazitäten gar nicht nötig werden. Billiger wäre das allemal.